Eubabrunn (dpa/sn) – Zuerst nehmen sie jeden Apfel vorsichtig in die Hand, halten ihn ins Licht und betrachten ihn. Ob er kleine Schönheitsflecken hat, interessiert die Experten vom sächsischen Pomologen-Verein aber nicht.

Vielmehr stellt sich die Frage: Handelt es sich um ein seltenes Exemplar? Stundenlang sitzen sie zur jährlichen Apfelmesse in Eubabrunn (Vogtlandkreis) in der Scheune, riechen an den mitgebrachten Früchten der Besucher, schneiden sie auf und kosten ein Stück.

Hunderte lassen ihre Äpfel bestimmen, erklärt Christoph Mann, langjähriger Chef des verantwortlichen Landschaftspflegeverbandes «Oberes Vogtland». Der will eine ehrgeizige Frage klären: Wie viele Apfelsorten wachsen in der Region, und finden sich alte, fast vergessene? Insgesamt 177 Sorten stellten die Pomologen bisher fest, vielleicht, so die Hoffnung, wird in diesem Jahr die 200. auf ihrer Liste vermerkt.

Das interessiert auch Grit Striese, Landessprecherin des Sächsischen Pomologen-Vereins aus Rietschen (Landkreis Görlitz). «Die Neuzüchtungen haben sich nicht so bewährt, wie man erst dachte. Die alten Sorten sind widerstandsfähiger gegen Krankheiten.» Jedes Jahr widmet sich der Verein einer alten Apfelsorte: 2016 ist es die Gelbe Sächsische Renette. Nur 40 Altbäume habe es noch gegeben – 300 neue wurden nun gepflanzt. 2017 ist der Safranapfel dran.

«Seit Jahrhunderten ist er im Osterzgebirge beheimatet. Er steckt Spätfröste gut weg.» Im intensiven Obstanbau auf Plantagen würden neuere Sorten bevorzugt. «Hier kommt es mehr auf Optik an, sie werden mehr gedüngt und gespritzt.» Die alten Sorten hingegen seien beim Geschmack unübertroffen, erklärt Striese.

Laut Karin Bernhardt vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) gehören Gala, Elstar oder Pinova zu den gängigsten Apfelsorten. Aber der Trend gehe beim Apfelkauf zum kleinen Obstbauern. «Unserer Beobachtung nach bedienen die mit ihren alten Apfelsorten oft eine Nische, die zunehmend wichtig wird.»

Fast 20 Jahre lang hat Christoph Mann zum Thema Apfel geforscht. «Einige alte Sorten schmecken nach Muskat oder haben andere Aromen. Bewahren wir sie nicht, gehen uns die einzigartigen Merkmale und Gene verloren», sagt er. In diesem Jahr erhielt der 66-Jährige den «Oscar für Landschaftspflege» vom Deutschen Landschaftspflegeverband.

1990 gründete er als erster in Sachsen den obervogtländischen Landschaftspflegeverband – inzwischen gibt es dreizehn. Er spricht von einer «kleinen Renaissance» der alten Obstsorten. «Mehr Menschen wollen ihre Gärten mit ihnen reaktivieren.» Aber einige Sorten seien verloren gegangen, für den Handel waren sie uninteressant. 2000 konnte Mann für ein Projekt 205 Apfelsorten in ganz Sachsen nachweisen. «Aber nur rund zehn Sorten bekommt man im Handel.»

Die Gelbe Sächsische Renette und der Safranapfel gelten auch im Julius-Kühn-Institut in Pillnitz (Dresden) zu den schützenswerten, alt-sächsischen Apfelsorten. In dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen sind 755 Sorten in einer Genbank erhalten, dazu noch Wildarten. Sprecherin Stefanie Hahn erklärt: «Die Genbank muss man sich als große Obstanlage aus Bäumen und Sträuchern vorstellen.»

Ebenfalls gesichert sei die einzige Wildapfelart Sachsens, die im Erzgebirge noch beheimatet ist. «Der sogenannte Holzäppel wurde früher an Tiere verfüttert und wegen seines hohen Vitamingehaltes als Teeaufguss verwendet.» Eigene Züchtungen aus Pillnitz tragen entweder die Vorsilbe «Pi-», wie Pinova, oder «Re-». Letztere sollen besonders resistent gegen Pilzkrankheiten sein.

Die gezüchteten Sorten aus Pillnitz sind seit 2003 Teil eines Versuches beim obervogtländischen Landschaftspflegeverband: Christoph Mann und sein Team pflanzten 88 Apfelbäume auf einer Höhenlage bis 650 Meter. Elf Sorten sind vertreten: Fünf alte Regionalsorten und sechs neuere Züchtungen. Noch ist es aber zu früh für Auswertungen. Inzwischen führt Zdenka Hanakova als neue Geschäftsführerin die Obst-Projekte des Landschaftspflegeverbandes. «Die Pillnitzer Züchtungen sind eigentlich für niedrige Plantagen-Pflanzen gemacht. Ich bin gespannt, wie sie sich zukünftig bei uns auf hochstämmigen Obstbäumen entwickeln.»

Fotocredits: Ingo Wagner

(dpa)